van Winter, Johanna Maria (Vortrag, 21.6.2013, 10:30, Gewi Sitzungszimmer)

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May 31, 2013 by Helmut W. Klug

Sind die Regimina duodecim mensium wie Mönchmedizin zu betrachten?

 

Meistens werden die Gesundheitsregeln pro Monat betrachtet wie je ein Drittel der Regimina sanitatis der Jahreszeiten, weil jede Jahreszeit drei Monate umfasst. Die Einteilung nach Jahreszeiten kam aus dem Hippokratisch-Galenischen System der Humoralpathologie durch syrische und arabische Übersetzung ins Latein kurz vor 1100 nach Italien (Constantinus Africanus in Monte Cassino) und wurde von dort aus popularisiert im ganzen West-Europa. Die deutsche Forschung ist sich meistens nicht klar dessen bewusst wie die Verteilung der Jahreszeiten in je drei Monaten vor sich gegangen sei und betrachtet das Korpus der Monatsregeln gerne wie aus dem Humoralpathologie hergeleitete `Mönchmedizin‘. Die Mönche sollen in dieser Sicht die umher gehenden medizinischen Versorger der frühmittelalterlichen Bevölkerung gewesen sein, die diese Regeln praktizierten.

Beide Annahmen sind jedoch falsch: die Mönche versorgten zwar ihre eigenen kranken Brüder doch gingen sie nicht umher in den Dörfern, was schon das Gebot der Stabilitas loci verhindert hätte. Zweitens sind die Monatsregeln viel früher als die Regeln nach Jahreszeit in West-Europa bekannt gewesen: sie begegnen schon im Lorscher Arzneibuch des 8.Jahrhunderts und im Reichskalender Karls des Grossen des 9.Jahrhunderts. Sie müssen also anderer Herkunft sein. Es wird vermutet, dass sie direkt aus dem Griechischen ins Latein übersetzt über das byzantinische Exarchat von Ravenna nach Nord-Italien gelangt sind und sich von dort aus nach West-Europa verbreitet haben. Im Laufe der Jahrhunderte sind sie mit den Regeln nach Jahreszeit vermischt und von denen stark beeinflusst worden, wie auch umgekehrt der Fall gewesen ist. Im Spätmittelalter sind die Monatsregeln viel bekannter als diejenige nach Jahreszeit.

Dennoch gibt es wesentliche Unterschiede zwischen den beiden Gattungen: während die Regeln nach Jahreszeit kulinarische Empfehlungen bieten mit Kräutern und Gewürzen, die in der Küche verwendbar sind, ist der Hauptbestandteil der Monatsregeln für jede Monat ein anderes reinigendes, sogar stark laxierendes Kräutergetränk, das Morgens früh nüchtern getrunken werden soll. Daneben gibt es Gebote über Baden und Aderlass und Verbote für manche Speise in bestimmten Monaten, wie Kohl im August und Dezember oder Tierköpfe und –füsse im Mai. Diese Regeln zielen nicht auf medizinische Versorgung von kranken Menschen (`Mönchmedizin‘), sondern auf körperliche Hygiene von Gesunden. Weil sie schon im Reichskalender Karls des Grossen begegnen, der für alle Kirchen seines Reichs bestimmt gewesen ist, vermute ich, dass sie gerade für Priester zur Vorbereitung der Gottesdienst gemeint sind. Es ist meine bis jetzt jedoch unbewiesene Hypothese, dass sie in der byzantinischen Reichskirche des 6. Jahrhunderts ihren Ursprung haben.


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Tagungsthema:

Kochrezepttexte sind nicht nur als simple Anleitungen zur Herstellung von Speisen zu lesen, sondern transportieren wichtige Informationen zur Krankheits­prävention, die im Mittel­alter im Zentrum einer ganzheitlichen Gesundheitslehre stand und der ein besonders hoher Stellen­wert im gehobenen Alltagswissen zukommt.

Es verwundert daher nicht, wenn mittelalterliche 'Kochbücher' in der Regel nicht dem Umfeld der Küche, sondern dem Umfeld der praxisorientierten Medizin und dem so genannten 'Haushaltswissen' des 'treusorgenden Hausvaters' zuzuschreiben sind.

Darüber hinaus können diese Texte auch als 'Leittexte' für die Wege der Wissensvermittlung und der Wissenstransformation von der Antike bis in die Frühe Neuzeit gelten. Sie nehmen medizinische Theoreme der Antike auf, werden angereichert durch Impulse aus der orientalischen Medizin des Mittelalters und greifen in ihrer Anleitung zur praktischen Umsetzung auf die Ressourcen Mittel­europas zurück. – Kurz gesagt, es handelt sich um kulturhistorisch multipel aufschlussreiche Texte.