Steinmetz, Karl Heinz (Vortrag, 21.6.2013, 14:30, Gewi Sitzungszimmer)

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May 31, 2013 by Helmut W. Klug

Umsetzung diätetischer Doktrin im gastrosophischen Alltag gemäß dem Spiegel der Arznei (1518) des Lorenz Fries von Kolmar. 

Lorenz Fries – um 1490 (vermutlich) in Kolmar geboren und zwischen 1530 und 1532 in Metz gestorben – hatte in seinem kurzen Leben eine klassische Arzt-Karriere durchlaufen: Studium in Montpellier, mit Aufenthalten in Piacenza und Pavia, danach Medicus von Kolmar, Freiburg und Metz. Fries war zweifellos ein guter und geschätzter Arzt; seine eigentliche Berühmtheit begründete sich indes auf seine Tätigkeit als Schriftsteller in Sachen Medizin, Geographie und Astrologie. Eines seiner Hauptwerke – ‚Spiegel der Arznei’ –, das in der Offizin von Johannes Grüninger in Straßburg 1518 gedruckt wurde, erfuhr bis 1546 sieben weitere Auflagen. Man darf in dem Werk mit großer Leserstreuung eine Art medical-wellness-Führer des Spätmittelalters sowie Medizinhandbuch für gebildete Patienten erblicken, die am medizinischen Wissen partizipieren wollten.

Maßgeblich für den literarischen Erfolg war die fries’sche Schreibstrategie: Strikte Orientierung an den klassischen Quellen; kluge Übertragung der inhaltlich verdichteten lateinischen doctrina in ein gut lesbares Deutsch mit abschließender Pragmatisierung der Wissensgehalte für den laikalen Leser-Horizont. Das lässt sich an vielen Stellen belegen: So referiert Fries unverkürzt die klassische Pulsdiagnose, um dem Leser dann aber einzugestehen, dass man sowohl im Alltag der ärztlichen Praxis wie bei der laikalen Selbstdiagnose mit einem pragmatisch-vereinfachten Schema gut durchkommen könne.

Das Kabinettsstück der Wissenstranslation ist Fries allerdings auf dem Gebiet der eigentlichen Diätetik gelungen: Im lib 1 pars 2 cap 2ff referiert Fries auf 31 Seiten die klassische Humoral- Diätetik (von Fleisch über Fisch, Gemüse, Obst, Milchprodukten und Eier bis hin zu den wichtigsten Getränken), wie sie einem auch in der lateinischen Universitätsliteratur der Zeit allenthalben begegnet. Den Abschluss dieses Abschnitts bildet indes eine spannende „vorweggenommenen Leserkritik“:

Du möchtest nun wider mich sagen: Du hast vil hie gesagt von den dingen so die menschen essen und trincken… Wo du dis nit ein wenig entdecktest so weren deine obgeschribne wort gleich als kem einer und brecht uns nichtz.
Anders gesagt: Einem bloßen volkssprachlichen Referat der Schuldiätetik kommt eine sehr eingeschränkte gastrosophische Praxisrelevanz zu, da der Leser nicht genau weiß und kaum Erfahrung hat, wie er diese Diätetik der Schule alltagspraktikabel in seinem konkreten Leben umsetzen soll.

Diesen Schritt – die Explikation der inneren Funktionalität und Struktur diätetischen Wissen und dessen Übersetzung in den spätmittelalterlichen Horizont – unternimmt Fries in nachgeschobenen 10 Seiten, in denen er die laikalen Leser gleichsam das innere Strickmuster bzw. die Eigenlogik des diätethischen Systems erläutert und ihnen an Beispielen vorführt, wie man gelesenes Wissen eigenkompetent als „laikaler Arzt-Koch“ oder „Gesundheitskoch“ umsetzen kann. Auf diesem Fundament kann Fries dann im „therapeutischen Teil“ seines Spiegels sehr konkrete und anschauliche Anweisungen und Rezepte zur Krankenküche bei bestimmten Krankheitsbildern entfalten.

Der Vortrag Yedoch will ich ekleren uff deine vordrungen wird in der gebotenen Zeit einen prägnanten Überblick über die Mechanismen und Akzente dieses Wissenstransfers bei Fries geben – etwa mit welchen Mitteln, Strategien und Techniken der Autor in seinem viel gelesenen wellness- Führer seine Leser zur Umsetzung diätetischer Doktrin im Alltag ermächtigt und welche thematischen Schwerpunkte ihm dabei auf den Nägeln brennen.


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Tagungsthema:

Kochrezepttexte sind nicht nur als simple Anleitungen zur Herstellung von Speisen zu lesen, sondern transportieren wichtige Informationen zur Krankheits­prävention, die im Mittel­alter im Zentrum einer ganzheitlichen Gesundheitslehre stand und der ein besonders hoher Stellen­wert im gehobenen Alltagswissen zukommt.

Es verwundert daher nicht, wenn mittelalterliche 'Kochbücher' in der Regel nicht dem Umfeld der Küche, sondern dem Umfeld der praxisorientierten Medizin und dem so genannten 'Haushaltswissen' des 'treusorgenden Hausvaters' zuzuschreiben sind.

Darüber hinaus können diese Texte auch als 'Leittexte' für die Wege der Wissensvermittlung und der Wissenstransformation von der Antike bis in die Frühe Neuzeit gelten. Sie nehmen medizinische Theoreme der Antike auf, werden angereichert durch Impulse aus der orientalischen Medizin des Mittelalters und greifen in ihrer Anleitung zur praktischen Umsetzung auf die Ressourcen Mittel­europas zurück. – Kurz gesagt, es handelt sich um kulturhistorisch multipel aufschlussreiche Texte.