Kempinger, Simone (Poster, 21.6.2013, 15:30, Gewi Sitzungszimmer)

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May 31, 2013 by Helmut W. Klug

Das Tiroler Kochbuch anno 1714

Historische Handschriften sind faszinierende Werke. Eine spezielle Gattung davon sind historische Kochbuchhandschriften. Gedruckten Werken, wie beispielsweise dem “Nürnberger Kochbuch” (1691), oder dem “Saltzburgisches Kochbuch” (1719) von Conrad Hagger,  stehen individuelle, meist einzigartige Kochbuchhandschriften entgegen.

Zu dieser Gattung von Handschriften gehört auch das hier zu besprechende Werk. Da es keinen selbständigen Titel mitbringt, wurde der Arbeitstitel auf  “Tiroler Kochbuch anno 1714″ festgelegt.

Die Originalhandschrift liegt im Büro des Zentrums für Gastrosophie in Salzburg auf. Zur sicheren und leichteren Bearbeitung wurde das gesamte Werk digitalisiert und so für Forschungszwecke zugänglich gemacht. Der Inhalt des Werks wurde bisher noch nicht wissenschaftlich bearbeitet. Daher handelt es sich hierbei um eine Grundlagenarbeit, welche die Basis für künftige, tiefergehende aber auch vergleichende Forschungen legt. Ziel der laufenden Auseinandersetzung ist eine Transkription und Analyse des kompletten Werkes im Zuge von Qualifikationsarbeiten bzw. einer folgenden wissenschaftlichen Edition.

Da die Transkription noch nicht abgeschlossen ist, liegen über die näheren Hintergründe des Werks erst wenige Detailinformationen vor. Ebenso verfügt der aktuelle Besitzer des Werks bezüglich der Herkunft und der Überlieferung des Werks leider über wenig konkretes Wissen, so dass noch kaum gesicherte Aussagen über vormalige Besitzer, Überlieferungswege sowie die Herkunft der Rezepte getätigt werden können. Während der Bearbeitung des Inhalts ergaben sich jedoch bereits eine Fülle von Fragestellungen und Thesen, welche plausible Aufschlüsse zulassen, jedoch bisher kaum durch gesicherte Ergebnisse belegt werden konnten. Dies wird Aufgabe künftiger detaillierter Forschungsarbeit sein. Wichtige Anhaltspunkte in Bezog auf die Herkunft der Rezepte liefern personenbezogenen bzw. geographische Termini in den Rezepttiteln sowie die Verwendung von Zutaten mit geographischer Bezeichnung, wie beispielsweise “türoler wein” oder “pozner Kütten”. Dabei ist jedoch sowohl bei der Betrachtung der geographischen Bezeichnungen sowie der in den Rezepttiteln genannten Adelsanreden die politische Situation des Tiroler Raums zu jener Zeit mit einzubeziehen, da dieser über ein wesentlich größeres Territorium als aktuell verfügte.

Die Präsentation wird sich in zwei Teile gliedern. Im ersten Teil werden die wichtigsten Fakten zur Handschrift knapp und überblicksmäßig dargelegt. Thematisiert wird hierbei das Format und Aussehen des Werks, die verwendete Schriftart, der Aufbau, Umfang  sowie Besonderheiten der verzeichneten Rezepte, bis hin zur Absicht des vermuteten Schreibers bzw. Auftraggebers bei der Erstellung des Werks. Im Detail werden sich diese Inhalte wie in der Folge beschrieben darlegen:

Das Werk ist in hellem Schweineleder gebunden und weißt ein Format auf, welches in etwa dem heute gängigem A4-Format entspricht. Auf 155 gebundenen Blättern, welche recto und veso beschrieben wurden, also 310 Seiten, sind rund 750 Rezepte verzeichnet. Über die tatsächliche Anzahl der Rezepte kann erst nach der Komplettierung der Transkription Auskunft gegeben werden. Die Handschrift des noch unbekannten Schreibers ist eine zu dieser Zeit gängige deutsche Kurrentschrift. Der Schreiber folgt in seiner Arbeit keiner heute konventionellen Orthographie, die Wortwahl ist von verschiedenen, noch zu bestimmenden Dialekten und sehr differenzierenden Schreibweisen geprägt. Anhand der in den Rezepten verwendeten, oft kostspieligen Zutaten sowie exklusiven Zubereitungsarten kann der Besitzer einer adeligen Gesellschaftsschicht zugeordnet werden.

Im zweiten Teil der Präsentation soll die außergewöhnliche Gliederung der Rezepte, besonders im ersten Teil, in den Mittelpunkt der Betrachtungen gestellt werden. Das Buch wurde aus mindestens drei Vorlagen abgeschrieben, was sich aus schriftlichen Vermerken bzw. differenter Wortwahl ergibt. Die Rezepte der ersten beiden Teile sind in der Handschrift nicht nummeriert. Zur leichteren Bearbeitung wurden die Rezepte in der Transkription mit Nummerierungen versehen. Der erste Teil, welcher sich bis vom ersten bis zum Blatt 68 erstreckt, wurde aus dem Kochbuch einer “Frau von Ehning” abgeschrieben, die in der Vorrede in Dankbarkeit erwähnt wird. Dieser Teil enthält Rezepte aller Art. Es sind Rezepte für Muse, Saucen, Braten, Sulzen, Fisch, Pasteten, Geflügel und allgemeine Süßspeisen enthalten. Die Rezepte dieses Abschnitts sind thematisch in relativ homogene Kapitel gegliedert.  Der zweite Teil, welcher nur durch die Anmerkung “Auß Einem Annderen Buech abgeschrieben” erkenntlich gemacht wurde, erstreckt sich über 85 Blätter und beinhaltet ausschließlich Süßspeisenrezepte, welche im Gegensatz zum ersten Teil zwar thematisch grob gegliedert, aber nicht durch Kapitelüberschriften gekennzeichnet wurden. Die in diesem Teil verzeichneten Rezepte tauchen teilweise sehr tief in die Kunst der Patisserie und Zuckerbäckerei ein. So finden sich darunter sehr detaillierte, teilweise sich über zwei Seiten erstreckende Zubereitungserklärungen wie man Flugzucker, Tragant oder kandierte Blütenblätter herstellen soll. Der dritte Rezeptteil erstreckt sich nur über drei Seiten und enthält sieben Rezepte, welche aber zum Unterschied der ersten beiden Teile nummeriert sind. Diese Rezepte wurden mit großer Sicherheit erst zu einem späteren Zeitpunkt hinzugefügt.  Dieses Ergebnis lässt sich aufgrund des sehr differenten Schriftbildes feststellen. Zur Vervollständigung der Transkription wird parallel ein Glossar erstellt, in welchem nicht nur unbekannte bzw. altertümliche Termini erklärt werden, es soll weiters die Basis zu einer detaillierten Zutatenanalyse und Untersuchung sowie Abgleichung von ähnlichen Rezepten aus anderen Handschriften schaffen.

Ziel der Präsentation soll es sein, das Buch bzw. die aktuellen Forschungsergebnisse einem interessierten Fachpublikum vorzustellen und eventuell Hilfestellung durch aktives Networking bei offenen Fragen und Problemen zu finden.


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Tagungsthema:

Kochrezepttexte sind nicht nur als simple Anleitungen zur Herstellung von Speisen zu lesen, sondern transportieren wichtige Informationen zur Krankheits­prävention, die im Mittel­alter im Zentrum einer ganzheitlichen Gesundheitslehre stand und der ein besonders hoher Stellen­wert im gehobenen Alltagswissen zukommt.

Es verwundert daher nicht, wenn mittelalterliche 'Kochbücher' in der Regel nicht dem Umfeld der Küche, sondern dem Umfeld der praxisorientierten Medizin und dem so genannten 'Haushaltswissen' des 'treusorgenden Hausvaters' zuzuschreiben sind.

Darüber hinaus können diese Texte auch als 'Leittexte' für die Wege der Wissensvermittlung und der Wissenstransformation von der Antike bis in die Frühe Neuzeit gelten. Sie nehmen medizinische Theoreme der Antike auf, werden angereichert durch Impulse aus der orientalischen Medizin des Mittelalters und greifen in ihrer Anleitung zur praktischen Umsetzung auf die Ressourcen Mittel­europas zurück. – Kurz gesagt, es handelt sich um kulturhistorisch multipel aufschlussreiche Texte.