Klumpp, Andreas (Poster, 21.6.2013, 15:30, Gewi Sitzungszimmer)

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May 31, 2013 by Helmut W. Klug

Culina Historica. Möglichkeiten und Grenzen zur Rekonstruktion einer historischen Geschmackswelt.

 

Das Dissertationsprojekt „Culina Historica. Möglichkeiten und Grenzen zur Rekonstruktion einer historischen Geschmackswelt“ hat einen starken interdisziplinären Charakter, da zur Bearbeitung der Fragestellung unter anderem Material aus Archäologie, Archäobotanik und -zoologie sowie der Geschichte und Volkskunde herangezogen werden muß. Zudem kommen Arbeitstechniken aus dem Bereich der Geschichte, der Volkskunde und der Experimentellen Archäologie zur Anwendung. Knapp gesagt geht es darum, zu ermitteln ob und in welchem Umfang die Rekonstruktion mittelalterlicher Küchenpraxis und Gerichte heute noch möglich ist. Eine der schwerwiegendsten Grundeinschränkungen ist dabei, dass erst für das Spätmittelalter und hauptsächlich für die oberen sozialen Schichten hinreichend Quellenmaterial zur Verfügung steht. Die Untersuchung von Rezeptsammlungen, Menüplänen, Reiseberichten und weiterem schriftlichem Quellenmaterial dient dazu, Menüfolgen nach mittelalterlichem Vorbild und mit historisch verbürgten Rezepten zusammenzustellen. Hierbei soll ermittelt werden, ob Unterschiede zur heutigen Küchenpraxis und Zusammenstellung der Mahlzeiten erkennbar werden.

Recherchen im Bereich der Archäologie und ihrer naturwissenschaftlichen Nachbarfächer sollen es ermöglichen, einen Überblick über verwendetes Küchengerät, pflanzliche und tierische Zutaten, Brennmaterialien und bauliche Einrichtungen zu erlangen. Küchengerät und bauliche Einrichtungen sind ein Hauptkriterium zur Beurteilung der angewandten Zubereitungsmethoden, da z.B. die Art der Herde und Öfen oder das Repertoire an zur Verfügung stehenden Gerätschaften aber auch die Anzahl und praktische Ausbildung der mit der Nahrungsmittelproduktion Beschäftigten unterschiedlich aufwendige Rezeptumsetzungen nach sich ziehen. Anhand der ergrabenen pflanzlichen und tierischen Reste sollen den historischen Zutaten möglichst nahestehende heute noch kultivierte und produzierte Lebensmittel ausfindig gemacht werden. Da solche Lebensmittel häufig nur noch selten im normalen Handel erwerbbar sind, arbeite ich hier mit der deutschen Genbank des Institutes für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung Gatersleben zusammen. Im Laufe des vergangenen Jahres wurden in der Umgebung von Bamberg und bei Lauf an der Pegnitz erste Anbauversuche durchgeführt. Sie hatten zum Einen das Ziel aus den recht geringen Mengen des vom IPK erhaltenen Saatgutes Nachfolgesaat für einen erneuten Anbau zu erlangen. Zum Anderen konnten erste Geschmackstests durchgeführt werden. Weitere Aufgabe für das laufende Jahr ist es, Kooperationen mit Anbietern tierischer Zutaten, z.B. Fleisch von Eichelmastschweinen, aufzunehmen

Die angesprochenen Quellenarbeit und die Anbauversuche dienen dazu, in einem weiteren Schritt in einer modernen Haushaltsküche, in der Küche eines wiederaufgebauten mittelalterlichen Bauernhauses im Freilandmuseum Bad Windsheim sowie auf einem selbstkonstruierten tragbaren Herd Kochversuche durchzuführen. Diese werden nach dem Vorbild und den Richtlinien der Experimentellen Archäologie detailliert dokumentiert. Vor etwa zwei Jahren begannen die ersten Vorversuche, die zur Zeit hauptsächlich dazu dienen, den Dokumentationsvorgang zu optimieren und weitere Küchenerfahrung zu sammeln – vor allem der Umgang mit Feuer und die Feuerführung sollen dabei verbessert werden. Auch die Ermittlung der nötigen Arbeitsabläufe, der Interpretationsmöglichkeiten, die durch die häufig vagen Angaben in den historischen Arbeitsanweisungen recht vielfältig ausfallen, und die Entwicklung der Rezepte sind Teil dieses Schrittes.

Die Rekonstruktion mittelalterlicher Gerichte ist an sich nichts Neues. Zahlreiche Forscher – hauptsächlich Linguisten, Ethnologen und Historiker – und Laien haben sich daran versucht. Doch wurden diese Rekonstruktionen bisher nur selten detailliert dokumentiert, was den Aussagegehalt der Ergebnisse stark einschränkt. Zudem kamen in den meisten Fällen moderne Küchengeräte und -einrichtungen sowie leicht verfügbare moderne Zutaten zur Anwendung. Die Ergebnisse waren bisher überwiegend für leicht verständliche Kochbücher für die Öffentlichkeit vorgesehen und weniger für die Wissenschaft. Daher enthalten sie auch zahlreiche Anpassungen an moderne Erwartungen und schwierig erhältliche Zutaten werden allzuoft durch heutige Substitute ersetzt. Dies verändert jedoch stark den Charakter der historischen Gerichte. Somit stellen meine Versuche eine der wenigen detailliert dokumentierten und möglichst quellennahen Untersuchungen zu diesem Themenkomplex dar.

Um die Öffentlichkeit auf diesen sehr interessanten Themenbereich aufmerksam zu machen und als Versuch zur Kombination wissenschaftlicher Arbeiten mit den modernen Medien, führe ich parallel zur Dissertation ein Webtagebuch. Dort werden nicht nur immer wieder Einzelaspekte des Promotionsfortganges angesprochen, sondern auch Hinweise auf weitere themenrelevante Internetseiten, Tagungen, Zeitungs- und Buchartikel und vieles mehr gegeben.


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Tagungsthema:

Kochrezepttexte sind nicht nur als simple Anleitungen zur Herstellung von Speisen zu lesen, sondern transportieren wichtige Informationen zur Krankheits­prävention, die im Mittel­alter im Zentrum einer ganzheitlichen Gesundheitslehre stand und der ein besonders hoher Stellen­wert im gehobenen Alltagswissen zukommt.

Es verwundert daher nicht, wenn mittelalterliche 'Kochbücher' in der Regel nicht dem Umfeld der Küche, sondern dem Umfeld der praxisorientierten Medizin und dem so genannten 'Haushaltswissen' des 'treusorgenden Hausvaters' zuzuschreiben sind.

Darüber hinaus können diese Texte auch als 'Leittexte' für die Wege der Wissensvermittlung und der Wissenstransformation von der Antike bis in die Frühe Neuzeit gelten. Sie nehmen medizinische Theoreme der Antike auf, werden angereichert durch Impulse aus der orientalischen Medizin des Mittelalters und greifen in ihrer Anleitung zur praktischen Umsetzung auf die Ressourcen Mittel­europas zurück. – Kurz gesagt, es handelt sich um kulturhistorisch multipel aufschlussreiche Texte.